Persönlichkeitsentwicklung – Fluch und Segen zugleich
- Corinne Suter
- 31. Okt.
- 4 Min. Lesezeit

Persönlichkeitsentwicklung ist für mich Fluch und Segen zugleich. Fluch, weil sie uns immer wieder mit unseren Schatten konfrontiert. Segen, weil genau dort unsere grösste Kraft liegt.
Meine Reise begann, als ich mich als Praktikantin zur Kleinkinderzieherin beworben habe – ohne zu ahnen, dass ich damit nicht nur Kinder, sondern auch mich selbst besser kennenlernen würde. Während des Praktikums und der Lehre wurde ich mit unglaublich vielen Themen konfrontiert – kleinen wie auch grossen. Zum Glück haben mich meine Eltern schon als Kind mit alternativen Methoden begleitet, sodass es für mich nie ein Problem war, im Aussen Hilfe zu holen, wenn es mir mental nicht gut ging.
Wir lernen ein Leben lang. Und seit ich meinen Fokus voll und ganz auf Persönlichkeitsentwicklung gelegt habe, fordere ich mich immer wieder selbst heraus, an mir zu arbeiten – nicht, um perfekt zu werden, sondern um für meine Kund:innen ganz da zu sein. Ich glaube, kein Mensch ist perfekt – und das ist gut so. Denn mir fällt immer wieder auf, dass viele von uns gewissen Idealen oder Mustern folgen, die uns gar nicht guttun oder gar nicht bewusst sind. Wir wissen oft gar nicht, wer wir wirklich sind.
Vom Trotzkopf zur Beobachterin
Ich war als Kind ein richtiger Trotzkopf – und heute bin ich dankbar dafür. Diese innere Kraft begleitet mich bis heute und hilft mir, dranzubleiben und nicht aufzugeben. Für meine Eltern oder mein Umfeld war das manchmal aber gar nicht so leicht auszuhalten. Aus Erzählungen meiner Mama weiss ich, dass ich einmal in der Metzgerei etwas wollte und nicht bekam – worauf mich die Metzgersfrau kurzerhand nach draussen stellte. Nicht meine Mutter, sondern sie. Diese Szene blieb in unserer Familiengeschichte hängen.
So tragen wir alle unseren Rucksack – gefüllt mit Erfahrungen, Prägungen und Geschichten.
Und genau dort beginnt Persönlichkeitsentwicklung für mich: Es lohnt sich, ab und zu hineinzuschauen. Nicht um im Drama zu versinken, sondern um mit etwas Abstand zu beobachten, was da eigentlich drin ist.
Perspektivwechsel – von der Reaktion zum Verständnis
Nehmen wir die Metzgerei-Szene als Beispiel. Ich erinnere mich nicht mehr bewusst an das Geschehen, aber wenn mich die Metzgersfrau hinausstellte, muss ich sie wohl stark getriggert haben. Vielleicht merkte sie, dass meine Mutter Mühe hatte, Grenzen zu setzen. Vielleicht wollte sie helfen. Vielleicht hatte sie es selbst so gelernt – dass man rausgestellt wird, wenn man trotzt.
Was ich sicher gelernt habe: mich anzupassen. Und tatsächlich habe ich das Muster später in meiner Ausbildung wiederholt. Wenn ein Kind tobte, stellte ich es ebenfalls aus der Situation hinaus – bis ich merkte, dass das nicht das Gelbe vom Ei war. Die Kinder machten nämlich weiter.
Während dieser drei Jahre habe ich eine meiner wichtigsten Erkenntnisse gemacht: Was wäre, wenn ich das Kind stattdessen frage, was ihm gerade Mühe macht? Warum es trotzt? Vielleicht fühlte es sich gestört, war müde oder wollte einfach etwas selbst probieren – und wir Erwachsenen hatten zu wenig Zeit.
Ich habe gelernt: Jede Situation ist anders, aber wenn man auf das Kind eingeht, wird vieles leichter.
Grenzen setzen – ohne Verbindung zu verlieren
Viele denken jetzt vielleicht: „Ich habe doch nicht den ganzen Tag Zeit, auf mein Kind einzugehen!“ – und das stimmt. Darum geht es auch nicht. Man kann liebevoll Grenzen setzen und gleichzeitig Verbindung halten.
Bleiben wir beim Beispiel mit der Wurst in der Metzgerei: Ich wollte unbedingt eine Wurst, aber es hiess: „Nein, bald gibt’s Mittagessen.“ Ich als Kind konnte gar nicht einschätzen, wie lange „bald“ dauert. Jetzt gibt es verschiedene Möglichkeiten:
Ich kann sagen: „Ich sehe, du hast Hunger. Magst du ein kleines Wursträdchen, bis das Mittagessen fertig ist?“ oder ich kann entscheiden, dass es keine Wurst gibt – aber dem Kind trotzdem erklären, warum.
Wenn ich die Wurst gebe, heisst das nicht, dass ich meine Autorität verliere. Ich nehme einfach das Bedürfnis des Kindes wahr und entscheide bewusst, ob es im Verhältnis steht.
Wie sich Entwicklung weiter entfaltet
Heute darf ich erleben, dass meine Kinder diese Geschichte weiterschreiben. Meine Tochter (12) und mein Sohn (9) halten mir bis heute liebevoll den Spiegel vor. Sie zeigen mir, wo ich selbst noch im Reagieren bin, wo ich zu schnell bin –und sie erinnern mich immer wieder daran, in Verbindung zu bleiben.
Manchmal fordern sie mich heraus, manchmal bringen sie mich zum Schmunzeln –aber immer zeigen sie mir, wie sehr Kinder uns helfen können, uns selbst besser zu verstehen. Sie führen weiter, was ich als Kind begonnen habe: mich selbst und das Leben zu erforschen.
Vom eigenen Erleben zur beruflichen Haltung
All diese Erfahrungen fliessen heute in meine Arbeit ein. Sie helfen mir, Menschen mit offenem Herzen zu begegnen – ohne zu urteilen, ohne etwas verändern zu wollen. Ich weiss heute: Jeder Mensch hat seine eigene Geschichte, seinen eigenen Rucksack, den er mit sich trägt. Und niemand kann für jemand anderen entscheiden, wann der richtige Zeitpunkt ist, hineinzuschauen.
Was mir meine Erfahrungen immer wieder zeigen, ist etwas Faszinierendes:
Wenn ich mit Offenheit und ohne Druck auf mein Gegenüber zugehe, entsteht ganz von selbst respektvolles und wertschätzendes Verhalten – ohne dass ich autoritär handeln muss.
Diese natürliche, echte Verbindung berührt mich jedes Mal aufs Neue.
In meiner Praxis möchte ich genau diesen Raum halten – einen Raum, in dem Menschen sich selbst in ihrem Tempo begegnen dürfen. Ich sehe meine Aufgabe nicht darin, Antworten zu geben, sondern gemeinsam zu erkennen, weshalb jemand so fühlt oder reagiert, wie er es tut. Denn hinter jedem Verhalten steckt immer ein Bedürfnis, ein Schutz, eine Geschichte.
Manchmal reicht schon das Erkennen, um etwas in Bewegung zu bringen.Und manchmal braucht es einfach Zeit.Beides ist gleich wertvoll. Wenn ich ganz erlich bin sieht man dies nicht nur bei den Kindern sondern auch bei uns Erwachsenen.
Fazit – Die Reise hört nie auf
Persönlichkeitsentwicklung ist für mich kein Ziel, sondern eine Haltung. Es geht nicht darum, perfekt zu reagieren, sondern ehrlich hinzuschauen. Manchmal bedeutet das, alte Muster zu erkennen. Manchmal, sich selbst zu vergeben. Und immer bedeutet es: sich selbst ein Stück näher zu kommen.
Reflexionsimpuls:
Wann hast du dich das letzte Mal selbst beobachtet, statt dich zu verurteilen?
Vielleicht liegt genau dort dein nächster Entwicklungsschritt –
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